Der Aufstieg des Arminius

Klappentext

Mit einer gewaltigen Streitmacht durchziehen die Römer das gesamte germanische Stammesgebiet bis zur Elbe. Selbst die kriegerischen Langobarden werden unterworfen. Germanien scheint besiegt! Doch für einen Mann bietet sich jetzt die Gelegenheit, endlich seine Pläne wahrzumachen: Bliksmani! Er schließt sich den cheruskischen Reitertruppen an, die für die Römer kämpfen. Unterdessen fürchten Witandi und Frilike erneut um ihr Leben: Sklavenjäger vom Volk der Chatten durchstreifen die von den Unruhen zerrütteten Stammesgebiete im Norden und nehmen sie während ihrer Rückreise von der Bernsteininsel gefangen. Sie sollen ins Legionslager Mogontiacum verschleppt werden dort kommt es zu einem überraschenden Wiedersehen! Die Prophezeiung der Hagedisen erfüllt sich und Witandi erfährt die ganze ungeheuerliche Wahrheit ...

 

 

Neun weiße Rösser

Bliksmani warf einen verächtlichen Blick auf die drei Gestalten, die trotzig den Mund zusammenkniffen. Er würde sie schon zum Sprechen bringen, keine Frage. Ohne Informationen war er hier aufgeschmissen, zumal sein Name in der Haugmerki nicht mehr besonders gerne gehört wurde. Es war pures Pech gewesen, dass diese drei Vögel ihn sofort erkannt und dann auch noch die Frechheit besessen hatten, ihn mit einer Frame zu bedrohen. Hatten sie im Ernst geglaubt, dass er, Bliksmani, der Blitzschleuderer, Zauberhäuptling der Angrivarier, sich so leicht würde einfangen lassen? Lächerlich! Mit einem kurzen Griff in seine neue Gewehrtasche hatte er den Spieß umgedreht. Alleine der Anblick seiner nagelneuen AK-47 war schon zuviel für die drei. Ängstlich hatten sie ihre Waffen niedergelegt und sich ihm ergeben. Das Ganze war gerade mal vier Tage nach seiner Ankunft auf dem Thurisfingar passiert. Willkommen in Germanien!, dachte er grimmig.

Eines der Pferde schnaubte plötzlich leise und schüttelte dann die Mähne. Alarmiert schaute er hoch, doch es war kein Warnsignal gewesen. Der Ochse und die beiden Pferde grasten in Seelenruhe, fühlten sich offenbar wohl. Schön für sie. Er hatte sie zwei Schmieden am Thurisfingar abgenommen, gar nicht weit von dem ›Tor‹ entfernt. Wie es aussah, vermissten sie ihre Vorbesitzer nicht sonderlich. Bliksmani spuckte in das kleine Feuer, das vor ihm brannte. Zischend stieg ein kleines Dampfwölkchen auf. Dann griff er nach dem knorrigen Eichenast, der jetzt lange genug in der Glut geschmort hatte, und drehte ihn prüfend in seiner Hand. Ja, das sah gut aus! Er war sicher, dass er einiges damit in Erfahrung bringen konnte. Aber wahrscheinlich war es besser, die drei getrennt voneinander zu befragen! Sicherlich wollte sich keiner von ihnen vor den anderen die Blöße geben, dem Feind Bliksmani Informationen verraten zu haben.

Er legte den Ast zurück ins Feuer und drehte sich zu seinen Gefangenen um. Wer sollte der erste sein? Zwei von ihnen waren noch recht jung, wahrscheinlich erst um die zwanzig. Einer war etwa in seinem eigenen Alter, also Anfang vierzig. Den würde er zuerst befragen! Wenn einer von ihnen etwas wusste, dann der! Entschlossen schritt er auf die Gruppe zu und packte die beiden Jüngeren an den Schultern. Wortlos und immer noch trotzig blickend folgten sie ihm zwischen die zerbrochenen Weiden und Pappeln hindurch, tiefer in das Bruchwäldchen hinein. Die nahe fließende Weser überflutete dieses Gebiet offenbar regelmäßig, sodass der Boden selbst jetzt, im Frühherbst, weich und federnd war.

An einem querliegenden Stamm machte er halt und verband die Handfesseln der beiden mit einem Kunstfaserseil, das sie niemals würden zerreißen können. »Wartet hier und verhaltet euch ruhig! Ich will nichts hören!«, wies er sie an. Die beiden antworteten mit hasserfüllten Blicken, schwiegen aber. Zurück am Feuer hockte er sich vor den dritten Gefangenen. Dieser rutschte nun nervös auf dem Boden hin und her, schien bereits zu ahnen, dass es jetzt nur noch um ihn ging.

»Wie heißt du?«, fragte Bliksmani ihn ungeduldig und sah dem Mann direkt in die Augen. Wie die meisten Chauken, war auch dieser von hohem, drahtigen Wuchs, hatte eine rotblonde Haarmähne auf dem Kopf und trug den gekämmten, langen Bart offen, ohne Zöpfe darin. Über seine Schultern war ein blaugefärbter Umhang geworfen, der unter seinem Kinn von einer Knochenspange mit einer kleinen Bronzenadel darin zusammengehalten wurde. Die Kleidung verriet ihn schon als freien chaukischen Bauern. Demonstrativ blickte der Mann nun in den Himmel und atmete tief durch. Offenbar wollte er immer noch nicht reden, auch nicht ohne die beiden anderen!
»Hör zu, Mann! Ich habe nicht ewig Zeit! Entweder du sprichst jetzt oder ich werde dir mit dem glühenden Ast«, Bliksmani wies mit einer Kopfbewegung auf das Feuer, »erst das eine Auge, dann das andere herausbrennen! Verstehst du mich? Es macht mir gar nichts aus und du wirst den Rest deines Lebens nur noch ein lästiger Blindfisch für deine Sippe sein! Willst du das?«
Grob stieß er ihm mit der Hand gegen die Schulter. Endlich rührte der Chauke sich.
»Nein, natürlich nicht. Mein Name ist Ekengeri. Ich gehöre zur Sippe von Ekenhari Eichenarm, an den Quellen des Gastiwallan.« Na also, das war doch schon mal ein Anfang! Kurz überlegte er, ob er den Namen schon einmal gehört hatte. Er war sich nicht sicher …
»Lebt Athalkuning nicht unweit von euch?«
Ekengeri nickte.
»Ja. Eine Schwester Athalkunings ist die Frau von Ekenhari!« Eine Spur Stolz schwang in der Stimme des Chauken mit.
»Wer sind die anderen beiden? Wohin wolltet ihr? Warum habt ihr mich bedroht?«
Der Chauke zögerte kurz. Bliksmani griff erneut nach dem glühenden Ast im Feuer und schwenkte ihn einige Male vor dem Gesicht Ekengeris. »Schon gut«, meinte dieser mit einem ängstlichen Blick auf das schmorende Holz. »Meine Neffen und ich sind auf dem Weg zu Verwandten. Die beiden sollen schon bald ihre Bräute kaufen! Wir wollten sie beschauen und die entsprechenden Absprachen treffen! Als ich dich sah, wusste ich sofort, wen ich vor mir hatte!« Bliksmani zuckte unmerklich zusammen.
»Und hast dir gedacht, dass Ingimundi vom Aha Stegili dir sicher einige Pferde im Austausch für mich geben würde, was?« Bliksmanis leuchtend blaue Augen hatten sich zu schmalen, gefährlichen, eiskalten Schlitzen verengt. Ekengeri schwieg und starrte auf den Boden. »Erzähl mir von Athalkuning. Und Ingimundi. Ich will wissen, was seit der Schlacht gegen die Langobarden und die Friesen passiert ist.«
Erstaunt sah Ekengeri ihn an.»Aber das ist schon zwei Winter her!«
Nun war es an Bliksmani, erstaunt zu sein. Zwei Winter war das her? Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. »Na und? Erzähl es mir trotzdem, auch was du über Phabiranum weißt! Haben es die Römer wieder besetzt? Gibt es einen neuen Bündnisvertrag mit den Chauken? Was ist mit den Angrivariern? Erzähl mir alles!«
Verwirrt starrte Ekengeri ihn an. Er hatte Bliksmani, diese fast vergessene angrivarische Legende, dessen Ruhmestaten einige Winter zurücklagen und der die Chauken gegen sich aufgebracht hatte, tatsächlich gegen ein paar Stück Vieh eintauschen wollen. Doch warum stellte der ihm nun solche Fragen? Was wollte dieser Mann von ihm? Vorsichtig sah Ekengeri sich um. Seine beiden Neffen waren nicht zu sehen, würden nichts hören. Gut. Stockend begann er zu erzählen, was er gehört hatte. Vom neuen Frieden zwischen Chauken und Römern, von den starken Römerfestungen Phabiranum und Tuliphurdum am Mittellauf der Weser, vom neu erblühten Handel mit den römischen Besatzern und ihrer Präsenz überall zwischen Ems und Weser. Begierig hörte Bliksmani von der Bedeutungslosigkeit der stark dezimierten Angrivarier und von den ständigen Attacken der Langobarden auf chaukische Bauern westlich des Weißen Flusses.

Bliksmani hörte schweigend zu, stellte hin und wieder eine Frage, überlegte fieberhaft, was das alles für ihn bedeutete. Eines war ihm aber jetzt schon klar: Zu den Angrivariern brauchte er nicht mehr zurück! Die Schlacht an den Blänken Lieste hatte den ›Speerhütern‹ so schwere Verluste zugefügt, dass sie für seine Pläne zur Bildung einer stammesübergreifenden Koalition nicht mehr in Betracht kamen. Er war jetzt bis an die Zähne bewaffnet, konnte sogar eine Handvoll weiterer Männer mit Schusswaffen ausstatten – vorausgesetzt, er konnte ihnen trauen! Wehmütig dachte er an Leon! Warum war der nur so friedliebend gewesen? Gemeinsam hätten sie soviel erreichen können! Stattdessen musste er sich nach den Ereignissen vor zwei Jahren nun wie ein Verbrecher durch die Haugmerki schleichen! Er hatte eine wenig frequentierte Marschroute durch dünn besiedeltes Gebiet nach Norden, die Weser entlang, gewählt, um dann nach Osten in Richtung Elbe abzuschwenken. Eine gute Entscheidung! Den Kleinen Chauken von Ingimundi war er so aus dem Weg gegangen – nur diesen drei Vögeln hier nicht. »Weißt du, wo Agelhari zu finden ist?«
Ekengeri schüttelte genervt den Kopf. Woher sollte er es auch wissen? Bliksmani atmete tief durch und schluckte seinen gefährlich auflodernden Zorn hinunter. Wenn er den Mann jetzt gleich totschlug, nützte er ihm gar nichts mehr. In diesem Moment prallte etwas mit gewaltiger Wucht in Bliksmanis Rücken und schleuderte ihn nach vorne, mit dem Kopf voran ins Feuer! Panisch stützte er sich auf seinen Armen ab und rollte sich zur Seite, sodass er nur kurz die Hitze der Flammen im Gesicht zu spüren bekam. Keuchend versuchte er, nach Luft zu schnappen. Die beiden anderen Gefangenen hatten sich irgendwie von dem Baumstamm befreien können, allerdings waren ihre Hände immer noch gefesselt! Einer von ihnen stürzte jetzt erneut mit einem grimmigen Schrei auf ihn zu.

Bliksmani zog die Beine an und ließ diese nach vorne schnellen, kurz bevor der Angreifer ihn erreichen konnte. Er traf ihn genau in der Mitte der Brust und praktisch noch im Flug krümmte sich der Körper des jungen Chauken schmerzhaft, bevor er direkt vor seinen Füßen stöhnend zusammenbrach. Sein Mund öffnete und schloss sich im verzweifelten Versuch nach Luft zu schnappen. Bliksmani rappelte sich jetzt ganz auf und fasste die anderen beiden ins Auge.

Der zweite jüngere Chauke hatte in der kurzen Zeit mit seinen gefesselten Händen eine Frame herangezogen und sie Ekengeri so hingehalten, dass dieser die Handfessel daran aufschneiden konnte. In diesem Moment riss er seine Hände kraftvoll auseinander und sah wild und triumphierend zu Bliksmani hoch. Ihm blieb keine Zeit mehr, auch dem anderen noch die Fesseln durchzuschneiden. So sprang Ekengeri mit der Frame in der Hand auf und stürzte sich auf Bliksmani.

Diesem wurde es jetzt zu bunt. Mit einer geschickten Drehung zur Seite und einem gleichzeitigen Schritt nach hinten wich er Ekengeri aus. Dann griff er in sein Gürtelholster und zog gerade noch rechtzeitig die Waffe, bevor Ekengeri ihn von der linken Seite mit dem Wurfspeer treffen und der junge Chauke von der rechten Seite mit der Kraft seines Körpergewichts rammen würde. Binnen Zehntelsekunden traf er die Entscheidung, zuerst Ekengeri zu erschießen, dann den anderen. Der dumpfe, hohle Knall des Schusses hallte durch das Bruchwäldchen. Ekengeri brach mit weit aufgerissenen Augen direkt vor ihm zusammen. Bliksmani wandte sich noch im gleichen Augenblick dem Heranstürmenden zu und schoss ihn ebenfalls nieder, bevor dieser ihn erreichen konnte. Dumpf schlug auch er auf dem weichen Waldboden auf. Langsam ging Bliksmani zum dritten Mann. Der lag mit weit aufgerissenem Mund und seinen immer noch auf dem Rücken gefesselten Händen reglos da. Sein Gesicht hatte eine ungesunde purpurne Färbung angenommen, sodass Bliksmani davon ausging, dass er nicht mehr lebte.

Er bückte sich hinunter zu dem jungen Mann und zog dessen Unterkiefer weit auf. Richtig! Der Bursche hatte seine Zunge verschluckt, er war daran erstickt. Sie waren alle tot! Doch wie hatte das passieren können? Er versuchte aus jedem Fehler zu lernen und so ging er noch einmal den Weg dorthin zurück, wo er die beiden jungen Chauken angebunden hatte. Eine kurze Untersuchung des Baumstammes bestätigte seine erste Vermutung: Er war innen hohl gewesen! Sie hatten wahrscheinlich nur ordentlich ziehen und zerren müssen, um das brüchige Holz und die weiche Rinde durchzubrechen. Er musste vorsichtiger sein, sonst würde ihn ein solcher Leichtsinn beim nächsten Mal vielleicht das Leben kosten! Dabei hatte er noch soviel vor.

Auf dem Rückweg traf er dann seine Entscheidung. Er wollte zu Agelhari Hindino, dem obersten Kriegshäuptling der Langobarden und ihm seine Kampfkraft anbieten. Die Chauken waren wohl nun endgültig seine, Bliksmanis, Todfeinde. Oder? Ein kurzer, boshafter Gedanke schoss durch seinen Kopf. Er konnte doch eine falsche Fährte legen!? Wenn er etwas zurückließ, das den Tötungsverdacht dieser drei Chauken zum Beispiel auf die Langobarden lenkte? Dann würde keiner auf ihn kommen, trotz der markanten Schussverletzungen in ihren Körpern, mit denen bereits seit Jahren immer Bliksmani in Zusammenhang gebracht wurde! Und wenn er Ekengeri richtig verstanden hatte, war es gar nicht mal so abwegig, da versprengte kleine Langobardengruppen derzeit durch die Haugmerki zogen – auf Rache für ihre Niederlage sinnend, plündernd und mordend.

Er riss Ekengeri die Frame aus der Hand und machte sich daran, drei Runen, ringförmig um den Speerschaft laufend, tief ins Holz zu ritzen. Eine Wodanrune, eine Rune für Kampfesglück und eine für den Sieg. Zufrieden betrachtete er sein Werk. Perfekt! Um den Verwesungsprozess zu beschleunigen und die Spuren der Kugelwunden in den Körpern zu verwischen, musste er die Körper nur noch zur nahen Weser bringen und sie dort am flachen Ufer ablegen. Die Kräfte des Flusses würden die Leichname schnell entstellen. Falls sie dort nie gefunden würden, gut. Falls aber Fischer oder vielleicht Händler die Körper finden würden und den Langobardenspeer bei ihnen, so würden sie angstschlotternd jedem davon berichten! Gut so! Sollten sie alle Angst haben und unruhig werden! Bliksmani war zurück und diesmal würde ihn nichts aufhalten! Die Toten sollten sprechen und den Chauken verkünden, dass die Römer sie niemals vor den Langobarden beschützen könnten! Nur er, Bliksmani, konnte das! Indem er sie alle miteinander vereinigte …